Zur Anwendung des § 269 Abs. 3, S. 3 ZPO bei Klagerücknahme des Gläubigers und Insolvenz des Schuldners

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Noch immer gehen die Wogen hoch, wenn ein Gläubiger erst im Prozess vom anhängigen Insolvenzverfahren des Schuldners erfährt. Wer trägt jetzt die Kosten des Rechtsstreits, wenn die Rücknahme der Klage unausweichlich wird ?
Bisher kann der Gläubiger auf eine verständnisvolle Haltung der Gerichte hoffen. Schließlich sei der Schuldner in Verzug und habe die Klage provoziert, so dass dem Schuldner im Regelfall auch die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen seien, wenn der Gläubiger die Klage zurücknimmt. Auch der Blick in die Insolvenzregister sei nicht geschuldet.
Betroffene Gläubiger sollten hierauf jedoch nicht für alle Zeit bauen. Ein Wandel der Rechtsprechung ist nur eine Frage der Zeit.


Gem. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO bestimmt sich im Falle einer Klagrücknahme die Pflicht zur Übernahme der Prozesskosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes, wenn der Klageanlass vor Rechtshängigkeit wegfällt. Diese Regelung des § 269 Abs.3, S.3 ZPO wird im Fall der Rücknahme einer Klage nicht nur für den Zeitraum des Wegfalls der Klagveranlassung zwischen Anhängigkeit und Zustellung der Klage, sondern auch auf den Wegfall des Klagveranlassung in der Zeit vor Einreichung der Klage angewendet (Zöller/Greger, ZPO, 29, Aufl., § 269 Rn. 8 c; Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 269 Rn. 53; OLGR München 2004, 218; Thüringer Oberlandesgericht Beschl. v. 03.06.2011 - 4 W 248/11 zitiert nach Juris; KG NJW-RR 2009, 1411; LG Düsseldorf NJW-RR 2003, 213).

Auch in denjenigen Fällen, in denen sich die Erbringung der geschuldeten Leistung und die Einreichung einer Klage zeitlich überschneiden, spreche die Prozessökonomie, so die ganz herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung, für eine Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO. Voraussetzung für eine Billigkeitsentscheidung zu Gunsten des Klägers sei allerdings stets, dass der Kläger vom Wegfall des Klagegrundes schuldlos erst nach Einreichung der Klage Kenntnis erhält (Zöller/Greger, ZPO, 29, Aufl., § 269 Rn. 8 c; Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 269 Rn. 53; OLGR München 2004, 218; Thüringer Oberlandesgericht Beschl. v. 03.06.2011 - 4 W 248/11 zitiert nach Juris; KG NJW-RR 2009, 1411; LG Düsseldorf NJW-RR 2003, 213). Trotz des in keiner Weise einschränkenden Wortlauts der Norm sind jedoch die Oberlandesgerichte Brandenburg (Beschl. v. 13.09.2011 - 6 W 73/11, zitiert nach Juris) und Frankfurt (Beschl. v. 06.01.2004 - 25 W 78/03, zitiert nach Juris) anderer Ansicht. Offen gelassen hat dies das OLG Hamm (NJW-RR 2011, 1563). Das Oberlandesgericht Brandenburg meint, vor Anhängigkeit des Verfahrens falle es grundsätzlich in die Risikosphäre eines Antragstellers, ob, wann und unter welchen Umständen er seinen Anspruch geltend machen will. Genau dies ist auch die Auffassung des OLG Frankfurt.

Der Kern des Streits besteht somit in der Gleichstellung von vor Einreichung der Klage eintretenden Tatsachen mit direkt auf den Prozess einwirkenden Tatsachen, die sich nach Anhängigkeit ereignen, wobei deren Kenntnis in beiden Alternativen nach Anhängigkeit einsetzt. Bei den letzteren handelt es sich aus Sicht des Klägers um objektiv und subjektiv unabwendbare, bei Ereignissen vor Anhängigkeit jedoch um zumindest objektiv abwendbare Tatsachen. In der ersten Alternative wird dem Kläger eine Reaktion unausweichlich aufgezwungen, in der zweiten wäre sie zumindest objektiv vermeidbar gewesen. Die h.M. fängt diese zu trennenden Konstellationen durch das Kriterium der „Schuldlosigkeit“ auf, wendet dieses Kriterium allerdings nicht durchgängig an. Der h.M. ist zuzugeben, dass der „schnell“ klagende Gläubiger nicht per se kostenrechtlich privilegiert sein kann, nur weil dessen Informationszuwachs über nach Klageinreichung eintretende Ereignisse immer unausweichlich ist, andererseits derjenige Gläubiger benachteiligt wird, der dem Schuldner noch die Chance zum Verhandeln und damit – zum möglichen Nachteil des klagenden Gläubigers – auch die Gelegenheit gibt, in Sicht auf potentiell die Klagveranlassung betreffende Gründe Intransparenz zu schaffen. Dies gilt namentlich bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Diesem Gläubiger hilft die h.M. damit, dass die Kosten des Rechtstreits in der Regel dem Schuldner auferlegt werden, weil bei Einreichung der Klage noch bestehende Erfolgsaussicht vor Zustellung weggefallen ist und der Schuldner die Klageerhebung provoziert hatte. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn er sich im Verzug befand (allgemeine Meinung in Rechtsprechung und Literatur, etwa OLGR München 2005, S. 57 f., 58; Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, Rdn. 16 zu § 269; Musielak/Foerste, ZPO, 4. Aufl. 2005, Rdn. 13 zu § 269).

Dies ist aber nicht nachvollziehbar, weil es in Fällen der Unkenntnis einer Insolvenzeröffnung auf den Schuldnerverzug nicht ankommt. Unter dem Wegfall der Klageveranlassung im Sinne des § 269 Abs.3, S.3 ZPO wird nach der h.M. in Rechtsprechung und Literatur mehr verstanden als nur der Grundfall eines Wegfalls des materiellen Klagegrundes durch Erfüllung der eingeklagten Schuld. Dies gilt etwa für einen Verlust der Parteifähigkeit einer vermögenslosen Gesellschaft nach Löschung von Amts wegen (hierzu Erbacher, "Klagerücknahme vor Rechtshängigkeit" ?, S.67 mit einem Fall, angelehnt an BGH NJW 1982, S.238), jedoch ganz besonders für den hier interessierenden Wegfall des Rechtsschutzinteresses nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, der im Blickpunkt dieses Beitrags steht.

Zwar ist die Insolvenzeröffnung ein in der Sphäre des Schuldners angesiedelter Umstand, mit dem der Klage der Boden entzogen wird, was einen ähnlich akzidentellen Charakter hat wie die Erfüllung der Schuld (§ 362 BGB) zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit. Grund dafür, dass eine Fortsetzung des Klageverfahrens nicht mehr möglich ist und insoweit dem Gläubiger ein Schaden zu entstehen droht, ist aber nicht der Verzug des Schuldners (§ 286 BGB) als Umstand im Schuldverhältnis zwischen klagendem Gläubiger und dem Schuldner, sondern die die kollektive Rechtsverfolgung auslösenden Insolvenzgründe gemäß § 16 InsO, die mit der Verfahrenseröffnung zum Tragen kommen. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO). Eine gleichwohl gegen den Schuldner erhobene Klage ist unzulässig, weil ihm die passive Prozessführungsbefugnis und dem Gläubiger, der seine Forderung nur noch durch Anmeldung im Insolvenzverfahren realisieren kann (§ 87 InsO), das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 10 Rn. 4; MünchKomm-InsO/Schumacher, 2. Aufl. Rn. 42 vor §§ 85 bis 87; Häsemeyer, Insolvenzrecht 4. Aufl. Rn. 10.40). Die Partei- und Prozessfähigkeit des Schuldners (§§ 50, 51 ZPO) wird jedoch durch die Insolvenzeröffnung nicht berührt (BGH, Urt. v. 26. Januar 2006 - IX ZR 282/03, ZInsO 2006, 260). Ein Schuldnerverzug erspart es daher dem Gläubiger nicht, zu überprüfen, ob Klageveranlassung oder die Veranlassung besteht, die Forderung im Insolvenzverfahren anzumelden. Auch der Rekurs auf angebliche Informationspflichten des Schuldners, gewissermaßen als Ersatz für das Kriterium eines klageprovozierenden Verzuges, deren Verletzung auf der Basis des § 241 Abs. 2 BGB einen Schadenersatzanspruch auslösen würde, ist verfehlt. Die deutsche Insolvenzordnung sieht im Gegensatz etwa zum amerikanischen Recht weder die öffentliche Bekanntmachung von Insolvenzanträgen noch deren individuelle Mitteilung an bekannte Gläubiger vor. Dies wird in der Rechtsprechung bislang nicht gesehen (z.B. OLG Karlsruhe 14 W 66/06).

Anders wird man Fälle zu würdigen haben, in denen der Schuldner Verhandlungsbereitschaft signalisiert, „hinter dem Rücken“ des Gläubigers jedoch Insolvenzantrag stellt. Letztlich kann eine angebliche Verletzung von Informationspflichten in Sicht auf die Insolvenzantragstellung dahinstehen. Soweit es in einzelnen Entscheidungen heißt, dass ein Gläubiger von einer Klageerhebung abgesehen hätte, wenn der Schuldner auf eine erfolgte Ankündigung, die Forderung nunmehr gerichtlich geltend zu machen, nicht geschwiegen, sondern darauf hingewiesen hätte, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde, so kann dies in keinem Falle überzeugen. Die Information über die Stellung eines Insolvenzantrages ist eine brüchige Basis für die Entscheidungsfindung eines zur Klage bereiten Gläubigers. Wird der Antrag vom Insolvenzgericht zurückgewiesen oder der Antrag zurückgenommen, bleibt dem Gläubiger das Rechtsschutzbedürfnis für das Klageverfahren erhalten. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens mit der Folge einer Beweislastumkehr greift nicht ein (zu dieser Vermutung siehe BGHZ 124,151,159 f ), weil das Abstehen von einer gerichtlichen Geltendmachung keinesfalls zwingend ist.

Wird das Insolvenzverfahren hingegen tatsächlich eröffnet, erfolgt die Bekanntmachung gem. § 9 InsO in einem allgemein zugänglichen Informationssystem mit der Folge, dass ein mögliches Informationsdefizit des Gläubigers nur in einem engen Zeitfenster als „schuldlos“ angesehen werden kann. Dabei kommt es im System des § 269 Abs.3, S.3 ZPO nicht darauf an, ob ein Gläubiger *verpflichtet* ist, das einschlägige Informationssystem zu nutzen. Entscheidend ist die Parallelwertung zur Frage der Beherrschbarkeit des Risikos, ausgehend vom Grundfall einer Erledigung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit. In dieser Zeit ist das Vorliegen einer Klageveranlassung im weitesten Sinne nach dem Motto „alea iacta est“ für den Kläger nicht mehr beherrschbar. Das Abstellen auf Verzug als Klageprovokation oder die Verletzung von Informationspflichten lässt die „Tür zu weit offen“ und führt ohne den Fall der Not zu Wertungswidersprüchen. Erfolgt nämlich die Verfahrenseröffnung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit, somit genau in dem Stadium, in welchem der Gläubiger des höchsten Schutzes bedarf, wäre ein Schadensersatzanspruch aus Verzug oder Verletzung von Informationspflichten, dies bei Unterbrechung des Klageverfahrens und des Verfahrens zur Herbeiführung eines Beschlusses nach § 269 Abs. 3 ZPO gemäß § 240 ZPO, notgedrungen eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO, mit der Folge, dass sich die „ratio legis“, dem Gläubiger ein weiteres Klageverfahren zur Geltendmachung seines Kostenerstattungsanspruches zu ersparen (vgl. BT-Drucksache 14/4277, S.81; BGH NJW RR 2005,217, BGH NJW 2005,1662) schon nicht mehr realisieren kann. Der klagende Gläubiger müsste vielmehr seinen materiellen Kostenerstattungsanspruch im Insolvenzverfahren anmelden und notfalls auf Feststellung zur Insolvenztabelle klagen (§§ 189,190 InsO). Sehr ökonomisch ist dies nicht.

Liegt die Verfahrenseröffnung jedoch vor Anhängigkeit der Klage, ist also die Klage unzulässig von Anfang an, was ebenfalls durch den Wortlaut von § 269 Abs.3, S.3 ZPO gedeckt ist, wäre die Klage ebenfalls durch Verzug provoziert; der Kläger erhielte aber mangels Unterbrechung gemäß § 240 ZPO einen Kostentitel, den er während der Dauer des Insolvenzverfahrens eingeschränkt (§ 89 Abs.2 InsO), aber nach Abschluss desselben in voller Höhe vollstrecken könnte und dies selbst dann, wenn dem Schuldner in Sicht auf die Hauptforderung, mit der er in Verzug geriet, Restschuldbefreiung erteilt würde. Denn die Restschuldbefreiung nach deutschem Recht umfasst schon nach dem Wortlaut der einschlägigen Norm keine Verbindlichkeiten, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen (§ 301 Abs.1, S.1 InsO). Dies ist aber in Sicht auf den Kostenerstattungsanspruch nach § 269 Abs.3, S. 3 ZPO gerade der Fall.

Anders könnte dies jedoch im Rahmen einer Restschuldbefreiung gelten, die als „Certificate of Discharge“ nach sec. 279 ff. Insolvency Act 1986, für England und Wales, ausgesprochen wurde. Das „Certificate of Discharge“ dehnt gem. sec. 382, 1b) Insolvency Act 1986 die Restschuldbefreiung auch auf Verbindlichkeiten aus, die aufgrund der Hauptverbindlichkeit entstanden sind, dies auch zeitlich nach der Verfahrenseröffnung (ablehnend, mit sehr knapper Begründung, insbesondere ohne Diskussion des sog. „Fresh Start“-Arguments, OLG Stuttgart 9W 32/11, unveröffentlicht). Ein Gläubiger kann sich daher unabhängig vom Verzug des Schuldners je nach Zeitpunkt der Klageinreichung mit Blick auf die prozessökonomische Realisierung eines etwaigen materiellen Schadensersatzanspruchs besser oder schlechter stellen. Wer mit der h.M. die Anwendbarkeit des § 269 Abs.3, S.3 ZPO auch auf die Zeit vor Anhängigkeit ausdehnt, wird daher um das Kriterium der Unabwendbarkeit (anstatt der viel zu weit verstandenen Schuldlosigkeit) von mit der Klage verbundenen Risiken auch in Bezug auf deren Zulässigkeit nicht herumkommen. Die Überakzentuierung des materiellen Kostenersatzes täuscht im Rahmen der bisherigen h.M. darüber hinweg, dass die Vermeidung eines diesbezüglichen Zweitprozesses nur ein Gesichtspunkt ist, der im Rahmen des § 263 Abs.3, S.3 ZPO zum Tragen kommen kann.

Auch im Rahmen eines prozessualen Kostenerstattungsanspruchs kann es auch der letztlich entscheidende Gesichtspunkt sein, ob und inwieweit der Kläger für die Schaffung der Prozessvoraussetzungen verantwortlich bleibt, auch wenn Verzug und Klagveranlassung vorliegen. Schließlich schützt Verzug den Gläubiger auch nicht davor, sonstige Zulässigkeitsanforderungen an eine Klage zu wahren. Erst der letzte objektiv und subjektiv mögliche, aber vergebliche Blick in ein Insolvenzregister desjenigen Staates, in dem sich der Schuldner aufhält bzw. im Rahmen der Dauer des Schuldverhältnisses aufgehalten hat, dies vor Aufgabe der Klage zur Post oder vor Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, rechtfertigt daher die Gleichstellung von Anhängigkeit der Streitsache eintretenden Ereignissen mit direkt auf den bereits anhängigen Prozess einwirkenden Tatsachen. Sicher ist sicher.

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